Interview mit Dr. Dorit Feddersen-Petersen

Dr. Dorit Feddersen-Petersen ist Ethologin und Fachtierärztin für Verhaltenskunde mit Zusatzbezeichnung Tierschutzkunde. Als Dozentin am Institut für Haustierkunde der Universität Kiel leitete sie die Arbeitsgruppe vergleichende Verhaltensforschung. Sie wies als erste durch Kreuzungszüchtungen nach, dass die Hunderassen vom Wolf abstammen und nicht, wie man bis dahin annahm, teilweise vom Schakal. Ihre Bücher „Hundepsychologie“ und „Ausdrucksverhalten beim Hund“ zählen zu den Standardwerken der Verhaltensforschung über Kaniden. Derzeit arbeitet Dr. Feddersen-Petersen an ihrem neuen Buch „Verhaltensentwicklung beim Hund“, das im nächsten Jahr erscheinen wird. Die namhafte Wissenschaftlerin und Tierschutzexpertin folgt dem Motto: „Wissen schützt Tiere.“

Ein ganz herzliches Dankeschön von klargestellt, dass sie sich für dieses Interview bereit erklärt hat!

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klargestellt: Es ist zentrale Aussage der Rudelstellungslehre, dass der Mensch seine Empathie zum „Instinktwesen“ Hund verloren habe und sein heutzutage übliches Zusammenleben mit dem Hund auf reinem Egoismus basiere (Jagd, Hüten, Hundesport, Begleithund…). Nur durch Rückbesinnung auf seine eigenen Instinkte und eine der genetisch bedingten Natur unserer Hunde angepasste – also rudelstellungsgerechte – Haltung, könne ein Hundeleben wirklich glücklich werden. Der Mensch kommt in einer glücklichen Hundewelt möglichst wenig vor.

Dr. Feddersen-Petersen: Das wäre für den Hund katastrophal, denn gerade Hunde orientieren sich sehr am Menschen, sind besonders eng mit ihm „verbandelt“: Hunde wurden Haustiere, die sich an menschlichen Gesellschaften beteilig(t)en! Wohl die einzigen.

klargestellt: Welchen Rolle spielen hündische Spielpartner für das Sozialverhalten des sich entwickelnden Welpen?

Dr. Feddersen-Petersen: Welpen werden spielend flexibler für wechselnde Lebensbezüge, Spiele mit Hunden wirken entwicklungsfördernd im sozialen wie im kognitiven Bereich und dienen der Kommunikation, der Kontrolle eigener Aggression, der Entwicklung von Beziehungen (Bindungen), sozialer Rollen, um Einiges zu nennen.

Welpen sind ja extrem sensibel gegenüber Reizen der kommunikativen Umwelt, sie werden spielend in die soziale Umwelt eingeführt, lernen, für alles offen zu sein. Spieltypisch ist die Wiederholung bestimmter interaktiver Handlungsfolgen. Durch Wiederholung lernen die Welpen, durch Wiederholung denken sie, durch Wiederholung finden sie neue Wege und lernen einander kennen. So entstehen Beziehungen.

Im Spielkontext herrscht eine entspannte Stimmung und Spielen macht Spaß. Die Welpen werden einbezogen, gehören dazu, fühlen sich sicher und geborgen. So beginnt die Umweltanpassung und die Einpassung in die sozialen Gegebenheiten um die Mutterhündin herum. Kommuniziert wird die gute Stimmung, auch wenn Welpen hin und wieder die Balance verlieren oder etwas „verträumt“ im Wege stehen und spielerisch umgeschubst werden. Spielatmosphäre beruhigt und bindet ein. Welpen müssen dazugehören, das erfahren sie so.

klargestellt: Ist die von uns Menschen als spielerisch empfundene Interaktion zwischen Welpen einzig dem Lernen vorbehalten oder auch einfach zweckfreies Spiel?

SpielewelpengruppeDr. Feddersen-Petersen: Spiel ist nie zweckfrei, es ist eine ursprüngliche, kreative und universelle Kraft, die spontan und immer selbstbelohnend ist. Durch sie erfahren Welpen den Verbund mit dem „Rest der Welt“ – auf angenehmste Weise. Freies Spiel mag im Augenblick des Tuns „zweckfrei“, somit abzugrenzen von Regelspielen mit beginnender „Erziehung“ sein. Während so ein Regelspiel todernst in seiner Durchführung ist, erfolgt freies Spiel regellos, entwickelt sich individuell und fördert Kreativität und letztendlich auch innovatives Verhalten! Spielende Welpen werden in dieser wohligen Atmosphäre „von Anarchie“ eingefangen, wenn sie mit aufgerissenem Maul gegeneinander purzeln oder beim Spieldrohen kurz einnicken mögen, und sie erfahren körperliches Zusammensein als Schutz und wilde Spiele als Freude. So etwas ist nicht wirklich zweckfrei, geht aber wohl in die Richtung „es ist einfach Spiel“.

Freies Spiel also ist spontan und selbstbelohnend und ist der Anpassung von Hunden an wechselnde Herausforderungen der Umwelt dienlich, speziell der Einstellung auf Sozialpartner, so auch zwischen Hunden und Menschen. Dann entwickeln sich unter Welpen auch Spielallianzen, indem etwa der mit dem spielt, der jeweils ähnlich reagiert.

Auch im „zweckfreien“ Spiel läuft nichts ohne Lernen. Lernen ist der Dreh- und Angelpunkt jedweden Spiels.

klargestellt: Worin liegt generell (auch beim erwachsenen Hund) der Unterschied beim Spiel mit vertrauten Spielpartnern und mit fremden Hunden?

Dr. Feddersen-Petersen: Mit fremden Hunden wird mit „angezogener Handbremse“ gespielt, indem ein wenig Vorsicht und Umsicht dazu gehören, man gibt sich nicht so ganz der Spielstimmung hin. Mit dem vertrauten Spielpartner wird innig gespielt, etwa durch emotionales Interagieren mit übertriebenen Gesichtsausdrücken und wechselseitigem Ansehen zwischen Hunden (bzw. zwischen Hund und Mensch). Dieses Ausdrucksübertreiben stammt aus der Mutter-Kind-Interaktion und dient dem Schaffen von Nähe. Es etabliert wohl die funktionale Belastbarkeit für die soziale Auseinandersetzung. Fremden Hunden gegenüber besteht in aller Regel weniger Offenheit, wird weniger preisgegeben. Spiel zwischen vertrauten Sozialpartnern ist also völlig offen, während beim Spiel in größeren Gruppen zumeist Renn- und Kampfspiele nur zweier Hunde vorherrschen.

Untersuchungen zum Spiel wenig miteinander vertrauter Hunde und solcher, die miteinander leben, verdeutlichen, dass in fremden Gruppen zumeist nur in Dyaden gespielt wird, während in vertrauten Gruppen drei bis vier Hunde regelmäßig in Spiele involviert sind (Feddersen-Petersen; Mackensen Friedrichs). Fazit: wer sich gut kennt, spielt inniger miteinander, und dieses mit mehreren Spielpartnern!

klargestellt: Gibt es einen prinzipiellen Unterschied im Spiel zweier Hunde und einer größeren Hundegruppe? Setzen sich größere spielende Gruppen, etwa auf einer Hundewiese, in bestimmten Mustern zusammen, beispielsweise nach Rassen oder Anzahl?

Dr. Feddersen-Petersen: Hunde bestimmter Rassezugehörigkeit spielen bevorzugt in den jeweils hypertrophierten Verhaltensbereichen, auf die sie gezüchtet wurden, für die sie spezialisiert sind. So lieben Windhunde Renn- und Verfolgungsspiele, zeigen dabei die wildesten Kombinationen von Hakenschlagen und jähen Kehrtwendungen, während sich etwa Retriever auf das Apportieren von Stöckchen, die in das Spiel eingebracht werden, konzentrieren. Nicht von ungefähr spielen die jeweiligen Spezialisten nicht selten untereinander. Bestimmte Muster im Spiel korrespondieren also mit den speziellen Fähigkeiten bestimmter Rassehunde. Die größere Gruppe spielender Hunde kann nicht verallgemeinernd nach bestimmten Verhaltensmustern gekennzeichnet werden. Es kommt immer auf die involvierten Rassen an.

klargestellt: Oftmals beobachten wir Rennspiele unter Hunden. Dabei wechseln sie oft die Rollen – Jäger, Gejagter. Gibt es dafür einen besonderen Grund?

Dr. Feddersen-Petersen: Sie lernen voneinander und miteinander. Sie lernen, sich auf bestimmte Situationen und bestimmte Funktionen einzustellen. Wem spielerisch viel geschieht, der kennt sich aus, den wirft so leicht nichts aus der Bahn, wenn ihm „das Leben passiert“. Rollenwechsel (zeitlich begrenzte Veränderung sozialer Beziehungen) ist wichtig, damit jeder Spielende auch sog. Handicap-Situationen kennenlernt (Gejagter in diesem Fall).

klargestellt: Laut Rudelstellungslehre ist Spielen (und Rennen) bei Hunden ein Zeichen von Stress und hat den Zweck, den anderen Hund zu einem stellungsgerechten Verhalten zu bringen. Halten Sie das für plausibel?

playing _dogs_Fed_Ped01Dr. Feddersen-Petersen: Nein, damit kann ich nichts anfangen, das ist mir zu konstruiert. Die Natur macht (in ihren Abläufen) keine Sprünge (natura non facit saltus), so wissen wir seit Carl von Linné. Warum sollten Hunde in Bezug auf das Spiel eine solch krasse Ausnahme darstellen, anderen Säugetieren (und Vögeln) gegenüber? Solch sprunghafte Veränderungen gibt es nicht. Es gibt vielmehr Entwicklungen, wie uns die klassische biologische Systematik lehrt, die auch für das Verhalten – und die proximaten / ultimaten Ursachen tierlichen Spiels – gelten.

 klargestellt: Wann kann das Spiel unter Hunden in Mobbing kippen?

 Dr. Feddersen-Petersen: Das passiert, wenn sich unter den Spielenden andere Motivationen und Absichten entwickelt haben, wenn eigentlich das, was wir sehen, kein freies Spiel mehr ist. Wenn gezwickt und bedroht wird, befinden sich die Hunde in einer Situation ernsthafter Auseinandersetzung und die Regeln des Spiels gelten nicht mehr. Diese Situation liegt etwa vor, wenn mehrere Hunde plötzlich einen „Spielpartner“ kooperativ verfolgen und ihre ansteckende Aggression das steuernde Verhalten ist.

klargestellt: Spielen Hunde auch alleine oder ist hündisches Spiel immer Interaktion mit anderen?

Dr. Feddersen-Petersen: Und wie sie alleine spielen! Allein bedeutet mit sich und bestimmten Umweltausschnitten, Rasen, Strandsand oder Geröll etwa. Sie beziehen diese „unbelebte Umwelt“ in ihre Kreativität ein und entwickeln Beziehungen zu ihr, sie lernen über sie! Wie fühlt sich dieser Untergrund an, schmeckt mir Gras? Alles das bedeutet Vertrautheit gewinnen zur Umwelt und Anpassung an diese.

klargestellt: Worin unterscheidet sich das Spielen unter Hunden von dem zwischen Hund und Mensch?

Dr. Feddersen-Petersen: Grundsätzlich gar nicht, freies Spiel verläuft zwischen Mensch und Hunden ähnlich wie unter Hunden, es ist sozial, kommunikativ und kognitiv entwicklungsfördernd, wird getragen von einer gewissen Leichtigkeit der Stimmung, in der Hunde und Menschen auch neue Wege zueinander finden können… Körperliches Spiel zwischen Menschen und Welpen/Junghunden ist so wichtig, weil so Vertrauen gewonnen wird.

klargestellt: Im Sinne der Rudelstellungslehre ist es wichtig, dass der Mensch das Miteinander der Hunde möglichst wenig stört. So soll man die Aufzucht von Welpen der Mutterhündin überlassen und darauf achten, dass die Welpen möglichst wenig Außenreizen ausgesetzt werden. Falls die Welpen eines Wurfes als nicht zueinander passend eingestuft wurden, soll der Wurf passend aufgeteilt werden. Wie wirkt sich das auf die Entwicklung der Welpen aus?

Dr. Feddersen-Petersen: Das würde sich katastrophal auswirken, wäre eine Bremse für die Auseinandersetzung der Welpen mit ihrer Umwelt, etwa wenn diese den Menschen in seiner zentralen Rolle für das Hundeleben gar nicht kennenlernen könnten. Eine solche Einschränkung der Sozialisation würde zu sozialen Deprivationen führen. Die Mutterhündin ist nicht die bleibend zentrale Figur für die Hundewelpen, das ist vielmehr der Mensch, den Haushunde ja intuitiv dem Sozialpartner gegenüber vorziehen, wie immer wieder wissenschaftlich bewiesen wird. Unsere Haushunde richten ihr Verhalten an uns aus – das sollte verfeinert und unterstützt werden. Was da sehr konstruiert gefordert wird, ist eine denkbar ungünstige Lebensvorbereitung.

klargestellt: Gehen wir über das Spielen hinaus und kommen zur Kommunikation im Ganzen: In wie weit ist die Kommunikationsfähigkeit von Hunden vererbt, in wie weit ist sie erlernt?

diverse Rassen_01Dr. Feddersen-Petersen: Angeboren / erworben? Das ist die falsche Frage. Der Begriff „angeboren“ hat seine Tücken. Wenn gemeint ist, ob es rassentypische (bzw. geschlechtstypische) oder individuelle Dispositionen des Erlebens und Verhaltens gibt, die nicht durch Sozialisation bedingt sind, dann ist die Antwort eindeutig ja. Die mit dem Begriff „angeboren“ meist verbundene Vorstellung „unveränderlich“ oder „unbeeinflussbar“ indes ist falsch.

Hunde können ihre naturgegebenen Anlagen modifizieren, sie haben offene genetische Programme, sie können sie weiterentwickeln, umgestalten, unterdrücken oder verkümmern lassen (bzw. wir bringen sie dazu). Und es gibt unter Hunden sicherlich auch ein Fühlen und Verhalten, das verschiedenen Individuen verschieden schwer fällt.

Es gibt also genetische Veranlagungen für eine feingraduierte Kommunikation bei Hunden, die sich nur im Zusammenwirken intensiver Lernprozesse entwickeln.

Kommunikation wiederum ist die Voraussetzung für die Etablierung von Beziehungen / Bindungen. Genau diese müssen erfahren werden, so in der Sozialisierungsphase, die als sensible Phase eine besondere Qualität des Lernens ermöglicht. Bietet man Hunden diese Möglichkeiten nicht, so etwa bei Massenzuchten von Hunden, die ohne nennbaren Menschenkontakt aufwachsen müssen, so kommt es zwangsläufig zu Verhaltensfehlentwicklungen durch Erfahrungsentzug diesem gegenüber (extreme Ängstlichkeit von Hunden). Wachsen Hunde ganz isoliert auf, erleiden sie hochgradige irreversible Störungen (Kaspar-Hauser-Syndrom).

Hunde sind hochsozial und sie sind an das Zusammenleben mit Menschen adaptiert.

In einer zwischenartlichen Gruppe zu leben und das Verhalten der Gruppenmitglieder in unterschiedlichsten Situationen decodieren zu können, erfordert fein graduierte Kommunikation und kognitive Prozesse auf hohem Niveau. Lernen voneinander ist obligatorisch.

klargestellt: Laut Rudelstellungslehre spielt in einem Rudel weder die Rassezugehörigkeit noch das Geschlecht eine Rolle, lediglich in ihrer Körpergröße sollen die Tiere einander ähnlich sein. Kann man Hunde beliebiger Rassen und ohne Rücksicht auf das Geschlecht zu einem „harmonischen“ Verband zusammenstellen?

Dr. Feddersen-Petersen: Nein, das dürfte schwierig sein. Harmonie setzt Kommunikation, intensives Kennen der Gruppenmitglieder und Etablierung von Beziehungen / Bindungen voraus. Und dieser Prozess wird mit Hunden, die über vergleichbare Dispositionen im Verhalten verfügen, somit einer Rasse oder ähnlichen Rassen angehören, erfolgreicher und intensiver verlaufen, als nähme man gar keine Rücksicht auf die rassengebundenen Dispositionen. Auch die Geschlechterzusammensetzung spielt für die Harmonie von Hundegruppen natürlich eine große Rolle, will man ständige Auseinandersetzungen vermeiden. Und das will man ja.

klargestellt: Gibt es Unterschiede zwischen den Hunderassen in der Kommunikationsfähigkeit?

Dr. Feddersen-Petersen: Ja, bei brachyzephalen Rassen (verkürzte Schädelform, Red.) oder stark gesichtsbewollten Rassen z.B. sind die mimischen Elemente reduziert bzw. eben nicht sichtbar und der Gesamtausdruck wird vergröbert, was heißt, dass der Signalwert für die Auslösung verschiedener Reaktionsbereitschaften kleiner wird. Auch die sehr vielgestaltigen Ohren unserer Haushunde wirken signalverarmend, ebenso wie eine starke Belefzung für die Lippenbewegungen.

Rassen mit Wollhaaren können die Haare nicht aufstellen, während Rhodesian Ridgebacks über die mittige „Dauerbürste“ verfügen. Diese Unterschiede können durch Kommunikationslernen kleiner werden. Auch die Lautäußerungen sind von Rasse zu Rasse recht variabel anzutreffen. Das alles heißt nicht, dass Hunde unterschiedlicher Rassezugehörigkeit nicht lernen können, einander zu verstehen. Aber die Affinität zueinander ist in der Regel größer und die Prognose über das Miteinander einfacher.


klargestellt: Nach der Rudelstellungslehre soll der Mensch ausschließlich mit den „Eck- oder Leithunden“ kommunizieren, die die menschlichen Anweisungen dann an die „Bindehunde“ weitergeben. Können Hunde in einem Verband einander Anweisungen weitergeben?

 

Dr. Feddersen-Petersen: Nein, dazu gibt es keine genetische Disposition. So etwas ist von Menschen erdacht und den Hunden „übergestülpt“ worden. Es gibt unter Haushunden eben keine Eck- oder Leithunde oder Bindehunde mit immer wieder ganz speziellen Fähigkeiten / Aufgaben im Rudel. Und Hunde haben keine genetisch determinierte „Übersetzerfunktion“ menschlicher Anweisungen für andere Hunde. Das ist Menschenwerk, erdacht, um die Hundeszene zu verblüffen, freundlich ausgedrückt.

klargestellt: Rudelstellungsanhänger wollen weg von Erziehung und Konditionierung. Sie reden in ganzen Sätzen mit ihren „Eck- oder Leithunden“ und sprechen außerdem von mentaler Kommunikation. Worin liegt der Unterschied zwischen der innerartlichen, hündischen Kommunikation und der zwischen Mensch und Hund?

Dr. Feddersen-Petersen: Nun, unserer digitalen Kommunikation können Hunde nicht folgen. Vielmehr lernen sie Wortbedeutungen assoziativ zum Klang unserer Stimme und zu weiteren analogen Mechanismen. Da unsere Sprache ganzheitlich, also im Verbund mit Mimik und Gestik und Körpersprache dargeboten wird, funktioniert ihre Co-Decodierung sehr gut.

In ganzen Sätzen mit Hunden zu sprechen, macht wenig Sinn, da Hunde unserer Sprache nicht mächtig sind.

Das hundliche Ausdrucksverhalten zeigt weit mehr Übereinstimmungen als dasjenige zwischen Mensch und Hund. Man könnte also meinen, dass Hunde unsere Kommunikation stärker zu decodieren lernen müssen. Hunde haben sich aber in der langen Zeit des Zusammenlebens mit Menschen sehr auf diese eingestellt, beobachten uns exzellent und können uns sehr gut „lesen“.

klargestellt: Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Hunde und Katzen nicht nur friedlich in einem Haushalt zusammenleben, sondern oftmals eine enge Beziehung miteinander eingehen. Wie lässt sich das vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Genetik und Kommunikationsformen erklären?OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Dr. Feddersen-Petersen: Es sind beides Haustiere, die die ökologische Nische „Hausstand“ bewohnen, schon lange in Vergesellschaftung leben und sich deshalb dulden resp. aufeinander einlassen können.

klargestellt: Kommen wir zu den Konsequenzen, die sich aus der Entscheidung, „nach RS zu leben“ ergeben: Noch vor dem Besuch des Workshops auf dem der Hund in seiner Stellung von Frau Ertel „eingeschätzt“ wird, wird der Hund monatelang „entschleunigt“. Das bedeutet, er wird weitgehend von Außenreizen abgeschirmt, sollte möglichst nicht rennen, nicht spielen. Des Weiteren werden die Hunde von Hundebegegnungen abgeschirmt. Bei der Einschätzung selbst werden diese Hunde dann auf fremdem Terrain plötzlich mit vielen fremden Menschen konfrontiert und müssen von ihrem Halter dabei vollständig ignoriert werden. Lässt sich in einer solchen Situation eine zuverlässige Schlussfolgerung seiner (genetisch fixierten) Verhaltensweise ableiten?

Dr. Feddersen-Petersen: Nein. Ich würde nicht von „Entschleunigung“ reden, sondern von inadäquater reizarmer Haltung, die dem Soziallebewesen Hund Schaden zuzufügen in der Lage ist. Ich kann nur wiederholen, dass hier etwas konstruiert wurde, zu dem kein Hund passt. Zuverlässige Schlussfolgerungen zu irgendwelchen Verhaltensweisen sind nicht zu erwarten.

klargestellt: Nach der Einzelvorführung werden die frisch „eingeschätzten“ Hunde mit als „passend“ deklarierten Hunden zusammengelassen, um das Ergebnis zu bestätigen. Dieselbe Frage: Lässt sich hierbei eine zuverlässige Schlussfolgerung ihres (genetisch fixierten) Verhaltens gegenüber anderen Hunden ableiten?

Dr. Feddersen-Petersen: Hier lässt sich gar nichts ableiten.

klargestellt: Bei Mehrhundehaltern wird bei der Rudelstellungs-Einschätzung oft so genannter „Doppelbesatz“ diagnostiziert, d.h. zwei oder mehr Hunde haben dieselbe „Stellung“. In diesem Fall müssen die Hunde sofort getrennt werden. Können Hunde, die in einem Verband gleiche Rollen einnehmen, tatsächlich nicht zusammen leben?

Dr. Feddersen-Petersen: Doch, das können sie in realistischen Gruppierungen. Hier aber geht es um Menschenerdachtes, das Hunde nicht erfüllen können. Diese Art der „Hundeeinschätzung“ hat nichts mit der Biologie von Hunden zu tun, ist tierfremd und tierschutzrelevant.

klargestellt: Welche Wirkung hat eine solche Trennung auf langjährig zusammenlebende Hunde? Können Hunde trauern?

Dr. Feddersen-Petersen: Natürlich vermissen sie ihre Bindungspartner und trauern mehr oder weniger ausgeprägt. Es gibt Hunde, die nach Trennungen sterben.

klargestellt: Von Rudelstellungsanhängern gibt es Berichte, wonach die „Entschleunigung“ – Reizentzug, durch ausschließliche Haus- und Gartenhaltung, Verzicht auf Spaziergänge und Vermeidung von Hundebegegnungen – zu einer deutlichen Entspannung der betreffenden Hunde geführt habe. Unter welchen Umständen ist dies möglich?

Dr. Feddersen-Petersen: Ich halte solche Reizentzüge für gefährlich und tierschutzrelevant.

klargestellt: In einer nach Rudelstellungsgesetzen zusammengestellten Hundevergesellschaftung, so wird behauptet, könne ein etwa durch Handaufzucht von jeglichem sozialen Hundekontakt abgeschnittener und in äußerst reizarmer Umgebung aufgewachsener, deprivierter Hund aufgefangen werden und seine Defizite komplett aufholen. Dazu bedürfe es keinerlei menschlicher Einmischung. Inwieweit wirken sich massive Traumata eines Individuums auf den Rest der Gruppe aus und ist diese wiederum in der Lage, den traumatisierten Hund zu heilen?

Dr. Feddersen-Petersen: Das geht überhaupt nicht, weil diese Traumata wohl irreversibel sind, weil Hunde keine Therapeuten sein können und weil der Rest der Gruppe überfordert ist mit einem sozial deprivierten Individuum in der Gruppe.

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12 Gedanken zu „Interview mit Dr. Dorit Feddersen-Petersen

  1. Carla

    Vielen Dank auch von mir! Die wichtigste Waffe im Kampf gegen RS Schwachfug sind (vom Rest der Welt) anerkannte Experten wie Dr. Feddersen.

  2. petra keil

    Sie bringt es richtig auf den Punkt! Ich kann Ihre Beobachtungen und Ansichten in meiner Arbeit nur bestätigen! Danke herzlich Frau Dr.Feddersen-Petersen! Wundervolle und logische Beschreibungen!
    Beste Grüße meint, P. Keil von 8hunde.de

  3. Jana

    Unabhängig von der RS betrachtet, muss ich diesem Satz: “ Ich halte solche Reizentzüge für gefährlich und tierschutzrelevant.“ klar widersprechen!

    Wenn Hunde sehr stressanfällig sind, dann KANN es helfen, in den ersten Wochen/Monaten des „neuen Trainings“ (in vielen Fällen würden die Hunde vorher jahrelang dem massiven Stress ausgesetzt, was wahrscheinlich zu Verhaltensauffälligkeiten geführt hat) das Stresslevel zu reduzieren (zB indem man immer die gleiche kurze Strecke läuft). Hunde braucht einige Tage um Stress abzubauen und durch diese anhaltende Stressreduzierung hat der Hund die Möglichkeit, den aufgebauten Stress abzubauen. Erst dadurch wird es dem Hund möglich, wieder zu lernen und man kann nach und nach das Stresslevel wieder steigern.

    Wir haben das mit unserem Familienhund durch. Nach einer Stressreduzierung von 3 Monaten ist der Hund jetzt auf Spaziergängen schon richtig entspannt, das ist einfach schön anzusehen. Aus diesem Grund finde ich diese pauschale Ablehnung der Stressreduzierung falsch!

  4. Hilde

    Jana, bitte richtig lesen:

    „Reizentzug, durch ausschließliche Haus- und Gartenhaltung, Verzicht auf Spaziergänge und Vermeidung von Hundebegegnungen“

    Ansonsten stimme ich dir zu.

  5. hansgeorg

    Hey

    „Jana 9. Oktober 2014 um 13:59
    Unabhängig von der RS betrachtet, muss ich diesem Satz: ” Ich halte solche Reizentzüge für gefährlich und tierschutzrelevant.” klar widersprechen!

    Wenn Hunde sehr stressanfällig sind, dann KANN es helfen, in den ersten Wochen/Monaten des “neuen Trainings” (in vielen Fällen würden die Hunde vorher jahrelang dem massiven Stress ausgesetzt, was wahrscheinlich zu Verhaltensauffälligkeiten geführt hat) das Stresslevel zu reduzieren (zB indem man immer die gleiche kurze Strecke läuft). Hunde braucht einige Tage um Stress abzubauen und durch diese anhaltende Stressreduzierung hat der Hund die Möglichkeit, den aufgebauten Stress abzubauen. Erst dadurch wird es dem Hund möglich, wieder zu lernen und man kann nach und nach das Stresslevel wieder steigern.
    Wir haben das mit unserem Familienhund durch. Nach einer Stressreduzierung von 3 Monaten ist der Hund jetzt auf Spaziergängen schon richtig entspannt, das ist einfach schön anzusehen. Aus diesem Grund finde ich diese pauschale Ablehnung der Stressreduzierung falsch!“

    Leider ist das Thema viel zu komplex um eine kurze und umfassende Antwort geben zu können.

    Aber wir sollten genauer hinschauen und differenzieren.

    Reizentzüge, die zu einem Deprivationssyndrom führen können, ist etwas anderes als Desensibilisierung.

    Deprivation führt durch Reizarmut zum Deprivationssyndrom, d. h., wir haben eine Ursache (Deprivation) und die Wirkung (Deprivationssyndrom).

    Über die Desensibilisierung/Gewöhnung versucht man das betroffen Lebewesen, an Umweltreize zu gewöhnen, durch ganz unterschiedliche Methoden je nach Grad der Verhaltenssymptome.
    Dazu könnte z. B. auch notwendig sein, dass eine Konfrontations-Theraphie das Mittel der Wahl sein könnte und in erfahrene Hände gehört.

    Desensibilisierung/Gewöhnung ist also der umgekehrte Weg, (Ursache) einen angemessenen Reiz setzen und (Wirkung) so an den Reiz / die Reize gewöhnen.
    Oder anders, wie in deinem Beispiel beschrieben.
    Du setzt einen Reiz, sprich du gehst täglich die gleiche kurze Strecke, Wirkung Desensibilisierung/Gewöhnung und damit kann gleichzeitig der Stress reduziert werden.

    „Hilf mir, es selbst zu tun! (Maria Montessori).“

  6. Cora

    Es ist doch erst die negative Erwartungshaltung, dass Reize/Stress für einen Hund prinzipiell etwas Negatives ist, das es möglichst zu vermeiden gilt. Passt aber zu der Ansicht, wie zB auch Welpen in den ersten 8 Wochen behandelt werden sollen, oder wie eben nicht.
    Wieder ist es die menschliche Überzeugung/Überforderung die dem Hund übergestülpt wird, als etwas das dem Hund tatsächlich in seiner Entwicklung hilft. Für mich ist das keine langfristige Lösung, sondern einfach Management (also Vermeidung – in diesem Fall von Reizen ganz allgemein) Und das wiederum schafft erst die richtigen Probleme. Was dann vermutlich ganz praktisch als „Arbeit“ bezeichnet wird.
    Ein Hund kommt in eine neue Umgebung/eine neue Familie, akklimatisiert sich im eigenen Garten, und ist dann ruhig beim Spaziergang. Und daraus wird der Schluss gezogen, dass sich Hunde erst bei Isolation artgemäß verhält.
    Diese Zusammenschusterei von Beobachtungen und die Schlüsse die daraus gezogen werden, gipfelt in tierschutzrelevanten Auswüchsen.

  7. Tanja

    Als Halter eines deprivierten Hundes, weiß ich sehr genau, wo der Unterschied zwischen einem stressreduzierten Spaziergang und einem reizentzogenem Dasein liegt… Die RS-Vorgehensweise hat nichts mit Stressreduktion für Hunde zu tun, die erst mit Stress umgehen lernen müssen (oder es nicht wirklich können werden).

    Das, was die RS-Leute da propagieren und durchführen, ist genau das, was den deprivierten Hund irreversibel (!) angetan wurde, wahrscheinlich nicht mit den gleichen Auswirkungen, aber mehr als nur tierschutzrelevant. Das ist seelische Folter!

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