Kurt Kotrschal ist Professor für Verhaltensbiologie an der Universität Wien. Er und sein Team forschen im Wolf Science Center, das Professor Kotrschal mitbegründete, zu hormonalen, kognitiven und energetischen Aspekten sozialer Organisation, zunehmend auch zur Mensch-Tier-Beziehung. Hier werden Hunde- und Wolfsrudel beobachtet und deren Verhalten untersucht. Professor Kotrschal ist als Nachfolger von Konrad Lorenz ausgewiesener Hunde- und Wolfsexperte und Autor mehrerer Sachbücher. 2013 erhielt er für das Buch „Wolf – Hund – Mensch. Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung“ den Preis für das österreichische Wissenschaftsbuch des Jahres.
Zitat „Forschungsansatz“ aus dem Internetauftritt des Wolf Science Center: „Hunde sind keineswegs nur lernfähige Sklaven. Sie können ihre mentalen Fähigkeiten auch eigenständig einsetzen, eigene Entscheidungen treffen und profilieren sich damit als echte Partner.“
Klargestellt: Laut der Rudelstellungslehre nach Barbara Ertel führt der Mensch ein „Rudel“ ausschließlich über die „Eckhunde“, auch Leithunde genannt, die die Anweisungen dann an die „Bindehunde“ weitergeben. Wie ist Ihre Ansicht zu dieser Aussage unter dem oben genannten Aspekt?
Kotrschal: Die Dynamik in einem Rudel ist wesentlich komplizierter. Die angesprochene fixe Rollenverteilung wird durch keinerlei wissenschaftliche Evidenz bestätigt. Im Gegenteil, soziale Rollen sind stark Kontext-abhängig.
klargestellt: Eine der „offenen Fragen“, die wir uns auch stellen, lautet: Wie hängen die Beziehungen zwischen Hunden und Menschen ab von der frühen Sozialisierung und vom Training der Hunde sowie von den sozialen Eigenschaften des menschlichen Partners?
Kotrschal: Unsere eigenen Ergebnisse zeigen, dass Hunde zwar grundlegende Temperamenteigenschaften mitbringen, dass sie aber zu einem großen Ausmaß Wesen und Interaktionsstil ihrer Menschpartner spiegeln, Und natürlich ist eine gute Frühsozialisierung mit Menschen essentiell, nicht nur für die Ausbildung der generellen Vertrauensfähigkeit; guter Menschenkontakt in den ersten 4 Wochen des Lebens macht Welpen/Hunde auch ruhig und stressresistent.
Klargestellt: Bei den Rudelstellungsanhängern werden „unpassende“ Hunde abgegeben oder getauscht. Erzeugt solch eine Trennung aus einem Sozialverband Stress bzw. trauert ein Hund, wenn er einen vertrauten Sozialpartner verliert?
Kotrschal: Gelegentlich kann es in Gruppen Konflikte geben, die nur mit der Abgabe eines Hundes gelöst werden können, das hat aber nichts mit einer fixen Rudelstellung zu tun, die es nicht in dieser Form gibt.
Klargestellt: Sie beobachten im Gehege sowohl Hunde- als auch Wolfsverbände. Gibt es Unterschiede beim Spielverhalten? Falls ja, worin bestehen diese?
Kotrschal: Wölfe sind untereinander netter, sozial feiner justiert und kooperativer als Hunde.
Klargestellt: Laut „Rudelstellungen“ ist Spielen der reinste Stress für Hunde. Wie stehen Sie dazu?
Kotrschal: Das ist natürlich Unsinn. Spiel kann aus sozialen Spannungen entstehen, ist aber meist ein „unernster“ Kontext, um einander einschätzen zu lernen und um die Beziehungen zu festigen.
Klargestellt: Ein Ziel der Rudelstellungslehre ist es, Hunde in „strukturierten Rudeln“ zusammenzuführen und jeglichen menschlichen Einfluss zu minimieren. Hundesport, Erziehung, das Anstreben einer Beziehung Mensch-Hund etc. gelten als menschlicher Egoismus, der den Tieren schade. Befreit eine solche Bindungs- und Beziehungslosigkeit Ihrer Meinung nach den Hund tatsächlich von der Last, für den Menschen da sein zu müssen?
Kotrschal: Auch das ist trauriger Unsinn. Hunde sind seit 30.000 Jahren evoluiert/domestiziert und dabei im Vergleich zum Wolf viel abhängiger von Menschen geworden; Hunde ohne Menschen sind unvollständig und nicht wirklich gut darin, sozial funktionierende Einheiten zu bilden. Wenn man Hunden die Wahl gibt, ziehen sie Menschen anderen Hunden als Partner vor, gute Frühsozialisierung vorausgesetzt.
Klargestellt: Ist es denkbar, dass Hunde, die nach den oben genannten Prinzipien gehalten werden, sich weitgehend wolfsähnlich verhalten?
Kotrschal: Nein, verwilderte Haushunde etwa sind viel schlechter als Wölfe darin, beim Jagen und beim Aufziehen von Nachwuchs zu kooperieren.
Klargestellt: Frau Ertel beschreibt einen „vorderen Leithund“ unter anderem folgendermaßen: „Als Welpe: Versteckt sich sehr häufig nach der Geburt im Verband. Entweder sieht man ihn bei dem nachrangigen Leithund, oder mitten im Verband. Aber er liegt immer abnorm zum Rest. Grund: Ist ein aktiver Leithund im Haus würde er diesen sofort töten wenn er ihn im Verband entdeckt. Nur alte Leithunde, die spüren, dass sie der Aufgabe nicht mehr gewachsen sind, lassen solche Hunde groß werden und bauen sie als Nachfolger auf. Entdecken kann ein vorrangiger Leithund einen nachwachsenden Konkurrenten nur an der separierten vorrangigen Leithund-Stellung. Deswegen versteckt er sich selber oder die Mutter versteckt ihn über lange Zeit.“ Haben Sie solch ein Verhalten bei Welpen beobachten können? Wie ist Ihre Meinung zu dieser Aussage: „aktiver Leithund tötet potenziellen Konkurrenten“?
Kotrschal: Das ist schlicht so unsinnig, dass es sich verbietet darauf einzugehen.
Auch wenn ich ihm bei der letzten Antwort Recht gebe, schön dass auch er sich Zeit genommen hat. 🙂
Grüße nach Ernstbrunn!
Top!
Damit wäre dann alles Wesentliche gesagt. Herzlichen Dank!
Vielen Dank. Vor allem die letzte Antwort sagt irgendwie schon alles……