Was ist wahr am Rudelstellungskonstrukt, das Barbara Mohrenstein-Ertel im Alter von 19 Jahren innerhalb eines Jahres von dem Gärtnermeister Karl Werner gelehrt bekommen haben will und das die Hundewelt momentan in mehrere Lager spaltet?
Da es laut Frau Mohrenstein-Ertel weder Aufzeichnungen noch sonstiges im Nachlass von Herrn Karl Werner gibt, die diese Idee bestätigen, begaben wir uns auf die Suche nach Zeitzeugen und Wegbegleitern von Karl Werner und konnten unter anderen auch Elfriede Wipfel dazu befragen. Sie und ihr verstorbener Mann Julius waren die Begründer der damals noch „Wolf-Chow“ genannten neuen Hunderasse. Erst in den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde durch die Einkreuzung des Samojeden der heutige Name „Eurasier“ geführt und auch von der FCI anerkannt. Frau Wipfel kann als „Grande-Dame“ der Eurasierzucht bezeichnet werden. Sie war maßgeblich an der Entstehung der neuen Hunderasse beteiligt, hat damals das Zuchtbuch geführt und war alleinig für die Welpenvermittlung zuständig.
Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts lernte sie Karl Werner, dessen Frau und Adoptivtochter Ursula kennen. Einige Jahre waren sie gemeinsame Weggefährten; nicht nur bei der Zucht des „Wolf-Chow“, sondern man kannte sich auch privat sehr gut, besuchte sich zu Familienfesten und traf sich im Zuchtverein. Familie Wipfel hatte die Hündin Gesha vom Pflänzerland gekauft, die bei Karl Werner im „G“-Wurf gefallen ist.
Julius Wipfel war Chow-Chow Richter und hatte schon etliche Hunde im Ring begutachtet. Wann der Gedanke kam, den Wolfsspitz mit einzukreuzen, kann Frau Wipfel nicht mehr aufs Jahr genau sagen. Herr Werner war Gärtnermeister in Niederwalluf und hatte einige Wolfsspitze. Chow-Chows hatte er nie. Familie Wipfel nahm auch ab und an Karl Werner bei der Begutachtung der Zuchthunde mit, die für ihr Vorhaben geeignet schienen.
Die Welpenauswahl war recht einfach. Man sah sich den Wurf an, beratschlagte eine Weile und entschied sich dann für einen Welpen, der am besten optisch und charakterlich mit ins Bild passen könnte. Herr Werner war öfters bei der Auswahl mit dabei, stand jedoch nie im Vordergrund. Er war derjenige, der sich an den Hunden erfreute und mehr nicht. Elfriede Wipfel schildert ihn als ruhigen, ehrenwerten Mann, der keinerlei Ambitionen zeigte, am Zuchtgeschehen teilzunehmen. Der Einwand, dass Familie Werner sich laut der Rudelstellungs-Homepage über Generationen mit Hundezucht beschäftigte, auch Rudel für die Jagd zusammen gestellt haben soll, wischte sie mit einem: „Nein, das wage ich mehr als nur zu bezweifeln“ hinweg.
Karl Werner wäre ein sehr rechtschaffener Mann gewesen, der mit Sicherheit in seinem Beruf sehr viele Kenntnisse hatte, in der Welpenaufzucht jedoch nicht. Auch hätte er nicht den Blick und das (wir nennen es heute) „Händchen“ dafür gehabt. Auf die Frage nach Skizzen und Aufzeichnungen, die in einem kleinen Häuschen gesammelt gewesen sein sollten, kam ein klares „Nein“ zur Antwort. Auch die Frage nach weißen Königspudeln, die in diesem Zimmer als Bild an der Wand hingen, musste sie verneinen. So etwas hatte sie bei Familie Werner nicht gesehen.
Die nächste Frage galt der Wurfabnahme. Irgendwann musste doch Herr Werner die Würfe mit angeschaut und beurteilt haben, über die er – wenn überhaupt – seine Beobachtungen notiert hat. Antwort wiederum „Nein“. Allein Julius Wipfel war für die Zucht und Beurteilung zuständig. Er hat sich die Würfe angesehen und beurteilt. Unsere nochmalige Nachfrage, ob Herr Werner im Jahr 1968-1969 50 bis 60 Würfe angesehen und diese eingeordnet haben könnte, hat sie ebenfalls verneint. So viele Würfe gab es damals bei den Wolf-Chow pro Jahr nicht.
Auch als der Biologe Werner Schmidt, (den Doktor-Titel bekam er erst später verliehen) und Frau Baldamus sich abspalteten, war Karl Werner nie ein Gesprächsthema als „Hundeexperte“ und schon gar nicht als „Rudelstellungs-Lehrmeister“. Wie hätte er auch sich die Zeit nehmen sollen, als Gärtnermeister, der eine Gärtnerei leitete? Karl Werner spielte beim Zuchtverein keine große Rolle. Das entsprach auch nicht seiner Art und seinem Naturell.
Eine Frage nach Barbara Mohrenstein-Ertel: Frau Wipfel kennt sie nicht und erklärt überzeugend, sie glaubt auch nicht daran, dass Herr Werner jemals das von ihr angeführte Konstrukt als Gedanken hatte, geschweige denn zu Papier gebracht hat.