Interview mit Prof. Dr. med. vet. Irene Sommerfeld-Stur

Prof. Dr. med. vet. Irene Sommerfeld-Stur ist eine Expertin für die Genetik der Hunde. Wir konnten Sie für ein Interview für unsren Blog gewinnen, in welchem sie einige grundlegende Fragen bezüglich der Genetik auch für Laien verständlich erläutert

klargestellt: Wie stark ist das Verhalten eines Caniden durch Gene bestimmt, im Verhältnis zum Verhalten welches durch die Umwelt und Lernen bestimmt wird?

Sommerfeld-Stur: Jedes Verhalten beim Hund hat eine genetische Grundlage. Die Heritabilität, das ist der Anteil an der Ausprägung eines Merkmals für den der Genotyp verantwortlich ist, liegt für Verhaltensmerkmale im niedrigen bis mittleren Bereich. In verschiedenen Studien geschätzte Heritabilitätswerte liegen je nach untersuchtem Merkmal zwischen < 10% und etwa 50%. Heritabilitätswerte sind aber immer nur für die Rasse gültig, in der sie geschätzt worden sind und können sich von Rasse zu Rasse deutlich unterscheiden.

Irish W und Huskyklargestellt : Gibt es bekannte Gene, die für ein spezielles Verhalten bekannt sind?  Gibt es z.B. ein „Hütegen“?

Sommerfeld-Stur: Ein „Hütegen“ gibt es nicht. Es gibt aber eine Reihe von Genen, für die Assoziationen mit bestimmten Verhaltensdispositionen bekannt sind. Es sind vor allem Gene aus dem Bereich der Neurotransmitter und bestimmter Hormone, für die bereits Assoziationen mit bestimmten Verhaltensvariationen bekannt sind. So sind z.B. Varianten im Gen für einen Serotoninrezeptor und einen Dopaminrezeptor mit aggressivem Verhalten, Varianten in dem Gen für TH (Tyrosinhydroxilase – das ist ein Enzym das für die Umwandlung von DOPA in Dopamin zuständig ist) sind mit einem unterschiedlichen Aktivitätslevel assoziiert, Variationen im Gen für einen Glutamattransporter sind mit Aggressivität gegen Fremde bzw. mit dem Aktivitätslevel assoziiert. Diese Assoziationen wurden jeweils bei einzelnen Rassen gefunden und lassen sich nur bedingt auf andere Rassen übertragen.
Ganz allgemein muss man davon ausgehen, dass an der individuellen Verhaltensausprägung eine komplexe Vielfalt an genetisch kodierten Proteinen beteiligt ist. Das sind Hormone (z.B. Adrenalin, Noradrenalin, Sexualhormone, Oxytocin, Vasopressin, Prolaktin, Cortisol, Schilddrüsenhormone), Neurotransmitter (Serotonin, Dopamin, Endorphine, Acetylcholin, Glutamat, GABA), Rezeptoren, Transportproteine und auf- bzw. abbauende Enzyme. Alle diese Stoffe können in genetischen Variationen auftreten und damit eine unendliche Vielzahl an unterschiedlichen individuellen genetischen Verhaltensgrundlagen liefern.

klargestellt : Gibt es genetische Hinweise, ob ein Hund einen bestimmten Charakter hat, also z.B. extrovertiert oder introvertiert ist?

Sommerfeld-Stur: Hier gibt es vor allem Daten zu dem sogenannten Shyness-boldness Kontinuum. An dessen einem Ende steht der ängstliche, unsichere, zurückhaltende Hund, am anderen Ende der mutige, draufgängerische Hund. Die Position eines Hundes auf der Shynes-boldness Achse ist unabhängig vom Aggressionslevel. Die Heritabilität für die Position eines Hundes auf dieser Achse wird mit etwa 25% angegeben. Der Charakter bzw. die Persönlichkeit eines Hundes wird aber noch durch viele andere genetische Faktoren geprägt.

 klargestellt: Gibt es genetische Faktoren, die die Struktur eines Rudels festlegen?
 (Unter dem Aspekt, daß ein Rudel im Wortsinne ein familiärer Canidenverband ist?)

Sommerfeld-Stur: Es gibt sicherlich Gene, die in der Tierart Hund soweit fixiert sind, dass das Leben im Familienverband möglich ist. Genauso wie es beim domestizierten Hund Gene gibt, die seine Bindung an den Menschen möglich machen. Es ist aber sehr schwierig, hier genetische Einflüsse von tradierten Einflüssen zu differenzieren. Immerhin lebt ja der Hund vom Moment der Zeugung an in diesem Familienverband und ist den entsprechenden Umwelteinflüssen ausgesetzt.

 klargestellt : Unterscheiden sich die Gene von Wurfgeschwistern, so dass sie eventuell eine Existenz von 7 vorbestimmten „Rudelstellungen“ festlegen würden? Wäre überhaupt eine solche Rudelstellung durch Gene nachweisbar?

Sommerfeld-Stur: Gene von Wurfgeschwistern können sich mehr oder weniger unterscheiden je nachdem wie hoch das Inzuchtniveau des Wurfes ist. Je stärker ingezogen ein Wurf ist umso ähnlicher sind die Welpen genetisch. Eine genetische Differenzierung in genau 7 Varianten, die noch dazu über alle Rassen in gleicher Form auftritt, ist aus genetischer Sicht nicht plausibel. Eine Abklärung der Hypothese, dass es genau sieben Rudelstellungen gibt, wäre durch entsprechende molekulargenetische Untersuchungen grundsätzlich möglich.

Wolf-Chowklargestellt : Rudelstellungsvertreter verweisen gern auf epigenetische Faktoren. Was ist davon zu halten? Gibt es 7 epigenetisch festgelegte Präpositionen? Und sind diese dann doch auf Lebenszeit eines Hundes unveränderlich (was ein Widerspruch zu Epigenetik wäre.)

Sommerfeld-Stur: Epigenetische Faktoren spielen insbesondere im Zusammenhang mit Hundeverhalten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wenn man sich aber bisschen mit dem Prinzip der Epigenetik auseinandersetzt, dann ist eine epigenetische Differenzierung in genau 7 Varianten genauso wenig plausibel wie eine entsprechende genetische Differenzierung.

Eine auf Lebenszeit unveränderliche epigenetische Prägung wiederspricht allerdings nicht dem Prinzip der Epigenetik, denn gerade Einflüsse in der ersten Lebenszeit können zu sehr nachhaltigen Festlegungen des Aktivitätsstatus von Genen führen. Das ist ja auch das Prinzip der Primärsozialisation, dass die nur in einem beschränkten Zeitfenster stattfinden kann. Allerdings sind gerade im Gehirn während der gesamten Lebenszeit Änderungen des Aktivitätszustandes von Genen in Reaktion auf sich ändernde Umweltbedingungen möglich.

klargestellt: Fr. Ertel erwähnt eine Untersuchung von Speichelproben in Kiel. Was ist von solchen Forschungen zu halten, wie sind sie zu bewerten und zu überprüfen?

Sommerfeld-Stur: Speichelproben können zur Analyse der DNA genutzt werden. Es wäre denkbar, dass Frau Ertel versucht über eine Assoziationsanalyse Beziehungen zwischen bestimmten DNA-Varianten und den von ihr postulierten 7 Rudelstellungsvarianten nachzuweisen. Das Verfahren der GWAS (Genomweite Assoziations Studie) ist heute ein häufig eingesetztes Verfahren zur genetischen Abklärung phänotypischer Merkmale. Sofern eine solche Studie korrekt und nach den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis durchgeführt wird, sind die Ergebnisse durchaus ernst zu nehmen.

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